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Ökumene-StimmenUnter dieser Rubrik nehmen wir Texte, Zitate, Stellungnahmen usw. aus der gesamten Ökumene der Christenheit und der Weltreligionen auf. Unser Schwerpunkt liegt allerdings bei der christlichen Friedensbewegung.
Die Friedensbotschaft der Religionen auf dem interreligiösen Friedensgipfel in Assisi am 24. Januar 2002Vertreter von 12 Weltreligionen und 31 christlichen Kirchen kamen am 24. Januar 2002 im italienischen Assisi zusammen. Sie berieten - übrigens auf Einladung des Papstes - über die Bedingungen für einen globalen Frieden auf der Erde. Papst Johannes Paul II. selbst legte auf diesem Treffen ein glühendes Bekenntnis zum christlichen Pazifismus ab: "Nie wieder Krieg. Nie wieder Terrorismus. Stattdessen Vertrauen, Güte, Gerechtigkeit, Frieden, Liebe." Am Schluss verpflichteten sich die Vertreterinnen und Vertreter der anwesenden Religionen und Kirchen (Buddhisten, Hindus, Moslems, Juden, Christen, Schintoisten, Sikkhs, Vertreter von Naturreligionen...) auf folgende Prinzipien: 1. Wir verpflichten uns, unsere feste Überzeugung zu proklamieren, dass Gewalt und Terrorismus im Kontrast zu einem echten religiösen Geist stehen. Wir verurteilen jeden Rückgriff auf Gewalt im Namen Gottes oder der Religion und verpflichten uns, alles Mögliche zu tun, um die Ursachen des Terrorismus auszumerzen. 2. Wir verpflichten uns, die Menschen zu gegenseitigem Respekt und zu gegenseitiger Hochachtung zu erziehen, damit sich ein friedliches Zusammenleben zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Ethnien, Kulturen und Religionen verwirklichen lässt. 3. Wir verpflichten uns, die Kultur des Dialogs zu fördern, damit gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zwischen den Einzelnen und Völkern wachsen kann. 4. Wir verpflichten uns, das Recht jeder Person auf ein würdiges Leben gemäß ihrer eigenen kulturellen Identität zu verteidigen. 5. Wir verpflichten uns zum aufrichtigen Dialog, um zu erkennen, dass die Begegnung mit einer anderen Realität zu gegenseitigem Verständnis beitragen kann. 6. Wir verpflichten uns, uns die Irrtümer in Vergangenheit und Gegenwart zu verzeihen. Wir müssen uns im gemeinsamen Bemühen unterstützen, Egoismus und Missbrauch, Hass und Gewalt zu besiegen und aus der Vergangenheit zu lernen, dass Friede ohne Gerechtigkeit kein echter Friede ist. 7. Wir verpflichten uns, an der Seite der Leidenden und Verlassenen zu stehen und uns zur Stimme derer zu machen, die selber keine Stimme haben. 8. Wir verpflichten uns, uns den Schrei derer zu Eigen zu machen, die nicht vor Gewalt und vor dem Bösen resignieren. Wir wollen der Menschheit eine echte Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden geben. 9. Wir verpflichten uns, jede Initiative zu ermutigen, die die Freundschaft zwischen den Völkern fördert, in der Überzeugung, dass technologischer Fortschritt ein steigendes Risiko von Zerstörung und Tod für die Welt einschließt, wenn solidarisches Einverständnis unter den Völkern fehlt. 10. Wir verpflichten uns, die Verantwortlichen der Nationen aufzufordern, alle Anstrengungen zu unternehmen - auf nationaler wie internationaler Ebene -, dass eine Welt in Solidarität und Frieden erbaut und gefestigt wird. Wir, Angehörige von unterschiedlichen religiösen Traditionen, werden nicht müde, zu proklamieren, dass Frieden und Gerechtigkeit nicht voneinander zu trennen sind, und dass Frieden in Gerechtigkeit die einzige Straße ist, auf der die Menschheit in eine Zukunft der Hoffnung gehen kann... Fünf Leitbilder eines christlichen PazifismusVon Dr. Reinhard J. Voß, Generalsekretär von pax christi (katholische Friedensbewegung). Die folgenden Gedanken zum Thema "Kirchen und Friedensbewegung" brachte der Generalsekretär von pax christi in das gleichnamige Forum beim 8. Friedenspolitischen Ratschlag am 1. und 2. Dezember 2001 in Kassel ein. Kirchliche Stimmen sind derzeit manchmal überraschend. Ich zitiere die eigentlich konservative Eichstätter Kirchenzeitung, deren Chefredakteur Karl G. Peschke am 11.11. unter dem Titel "Weltfriede in Gefahr" schrieb: Präsident Bush jr. hat bisher nicht mehr als die Bescheinigung, die USA hätten das Recht, sich gegen Terroranschläge individuell und kollektiv zu verteidigen. Für einen Krieg ist das keine Legitimation. (...) Unverständlich ist, warum unter diesem Bundeskanzler die deutschen Soldaten in den Einsatz geschickt werden, ehe die Gründe und Ziele dafür transparent sind. Die Eilfertigkeit, in der diese rot-grüne Regierung sich bemüht, ihre Bündnistreue anzudienen, ist beunruhigend. Die Unfähigkeit dieser Regierung, in anderen als militärischen Kategorien zu denken, ist beschämend. Die mangelnde Bereitschaft, Bedenkenträger ernst zu nehmen, ist verhängnisvoll. (...) Der Kreuzug gegen den Terrorismus hat - wenn das Wort keine Rückkehr ins Mittelalter bedeutet - mit modernen Mitteln zu geschehen: Dialog, Überzeugung, Entwicklung sind die modernen Synonyme für den Frieden.Soweit der Leitartikel aus Eichstädt, der Diözese des ähnlich warnend argumentierenden katholischen Militärbischofs Walter Mixa. Als ein solcher christlich-pazifistischer Bedenkenträger melde ich mich zu Wort - als Vertreter von pax christi in der katholischen Kirche. Schon jetzt wird deutlich, wie stark wir Pazifisten gezwungen sind, politisch auf die Dynamik der Regierung zu reagieren. Dabei fällt es schwer, die eigene grundsätzlichere Position überhaupt noch einzubringen. Sie ist gewachsen in den 90er Jahren im sog. Pazifismusstreit bei Pax Christi, aber auch in der aufreibenden Arbeit für Flüchtlinge und Asylschutz in unserem Land sowie für Friedensdienste in Konfliktregionen. Was hat denn "Gewaltfreiheit als christliche Option" überhaupt noch beizutragen zum politischen Diskurs, wenn jeder Kriegsgegner gleich unter den Generalverdacht des Anti-Amerikanismus und des Bündnisverrats (man sagt nicht mehr: Vaterlandsverrat) gestellt ist?! Ich gehe jetzt bewußt nicht auf die Gerechtigkeitsfrage ein, die Papst Paul schon 1967 vor der UNO einklagte - mit seinem berühmten Wort "Gerechtigkeit ist der neue Name für Frieden." Bundespräsident Rau sagte ganz in diesem Sinne nach den Terror-Anschlägen: "Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist ein gerechte internationale Ordnung." Ich möchte nur festhalten, was auch kirchlicherseits am stärksten seit dem 11. September immer wieder betont wurde, daß die äußerst ungleiche globale Machtverteilung im wirtschaftlichen, politischen, militärischen und auch kulturellen Bereich zunehmend als Vorherrschaft des Westens zu bezeichnen ist und als solche erlebt wird: als eine Art "struktureller Arroganz". Die Terroristen könnten ohne diese Erfahrungen von Demütigung, Unterdrückung, Abhängigkeit, Ausweglosigkeit, Entwurzelung im kulturellen und ökonomischen Bereich in vielen Ländern des Südens gar nicht genügend Rückhalt und Echo finden für ihre verbrecherische Verblendung. Ich konzentriere mich also auf die immer wieder gestellt Frage, was neben solch langfristigen Strukturveränderungen denn kurzfristig von Pazfisten zur Bekämpfung oder Überwindung des recht undifferenziert "Terrorismus" genannten Phänomens beizutragen sei. Wir Pazifisten (Christen und andere) haben mindestens fünf Leitbilder dazu beizutragen: 1. Das Leitbild des gewaltfreien Jesus, die Vision "Pax Christi", des jesuanischen Friedensstiftens radikales Verstehen manchmal auch des "Gegners", den Martin Buber in seiner Deutung des Neues Testaments einen "zeitweiligen Hasser" nannte. Hier will ich kurz auf das Mißverständnis des christlichen Pazifismus als einer passiven Haltung eingehen. Eine entscheidende Bibelstelle, die immer wieder missachtet, missdeutet und missbraucht wurde, ist nach Wink das Jesuswort von der anderen Wange, der zweiten Meile und dem auch noch herzugebenden Untergewand (Mt 5,38-41). Walter Wink, Neutestamentler aus New York schrieb als Hilfe zum gewaltlosen Anti-Apartheidskampf in Südafrika (mit einem Vorwort von Bischof Tutu) ein Büchlein zum "dritten Weg Jesu", um die Christen in ihrem Gewaltfreien Widerstand zu stärken. Ich zitiere ihn: "Weshalb empfiehlt Jesus diesen - ohnehin genügend gedemütigten - Menschen, die andere Backe hinzuhalten? Weil genau dies den Unterdrücker seiner Möglichkeit beraubt, sie zu demütigen! Die Person, die die andere Backe hinhält, sagt damit 'Versuch es noch einmal! Dein erster Schlag hat sein eigentliches Ziel verfehlt. Ich verweigere dir das Recht, mich zu demütigen." (...) In diesem Kontext redet Jesus. Die Armen sind es, die ihm zuhören. Ich lernte durch diese Deutung zu verstehen, was ich auch bei Gandhi sah: gewaltloser, besser: gewaltfreier Widerstand ist nicht passiv, sondern eine sehr aktive, erlernbare, und sogar taktisch und strategisch einsetzbare Haltung und Handlung. Sie setzt aber eine spirituelle Vertiefung voraus, eine ständige innere Auseinandersetzung und Wachheit. 2. Das Leitbild des "gerechten Friedens", das sich der grundsätzlichen "vorrangigen Option für Gewaltfreiheit" (Ökumenische Versammlungen der Kirchen in der DDR 1987/88 und anderswo) verdankt, basierend auf der tiefen Einsicht, dass Gewalt allzu leicht nur Gewalt gebiert und in Form einer Spirale sehr schnell politisch unkontrollierbar wird. In diesem letzteren Punkt sind gerade die Kriterien eines "gerechten Friedens" hilfreich, wie sie die katholischen Bischöfe vor einem Jahr aufstellten. Ich messe sie kurz am gegenwärtigen Krieg in Afghanistan und stelle fest, dass die Kriterien einer "ultima ratio" nicht erfüllt sind. * Ein "größtmögliches Maß an Sorgfalt in der Prüfung der zu erwartenden Folgen" der Gegenschläge wurde nicht angewandt: siehe z.B. die vielfach erwähnten Eskalationsrisiken und die Gefahr einer Anheizung von Hass und Rachegefühlen auf der Seite islamisch geprägter Staaten. * Die Bombardierungen stellen keineswegs ein "Minimum an Gewalt" dar: siehe z.B. die militärische Unterstützung der Krieg führenden Nordallianz, die Massivität und die Dauer der Militärschläge. * "Zielführung und Verhältnismäßigkeit der Mittel" werden zunehmend unglaubwürdig: Geht es um die Ergreifung der Terroristen? Die Vernichtung ihrer Strukturen? Den Sturz des Taliban-Regimes? Den Sieg über einen von mehreren "Schurkenstaaten"? Welchem dieser Ziele nützen z.B. die verheerenden Streubomben? * Ebenso wenig wurde vor Kriegsbeginn eine klare politische Perspektive für die "Zeit danach" entwickelt; die Konfliktnachsorge wurde nicht sorgfältig bedacht. Dies geschah - nicht zuletzt durch die Minister Powell und Fischer - erst in großer politischer Hektik parallel zum Krieg. * Ein "Schutz der Zivilbevölkerung" und eine Verhinderung der "Flüchtlingsnot (als) größte humanitäre Herausforderung" sind nicht gewährleistet - im Gegenteil! * Es gab nach Ansicht vieler vielleicht formal "ein hinreichendes Mandat der Vereinten Nationen", doch ist auch dies umstritten und war auch dem Kalkül Russlands und Chinas angesichts ihrer eigenen internen Unruhe-herde zu verdanken; jedenfalls ist es kein Ersatz für eine echte Stärkung der UNO als der Gewalt eindämmenden und das Völkerrecht durchsetzenden Instanz. Die Resolution 1373 des Sicherheitsrates vom 28.9. 2001 war mit den von ihr geforderten "geeigneten Maßnahmen" weit weg von der dann anrollenden Kriegsmaschinerie und kann nicht zu deren Legitimierung dienen. Das Nürnberger Menschenrechtszentrum schrieb dazu: "Vielmehr enthält die Resolution ein ganzes Bündel anderer Maßnahmen, die die Mitgliedsstaaten zu ergreifen haben." (finanzielle, strafrechtliche, informationelle, polizeiliche, usw.) sowie "die Anwendung der bereits bestehenden 12 internationalen Abkommen zur Bekämpfung des Terrorismus - von denen die USA keines ratifiziert haben." 3. Das Leitbild der zivilen Konfliktbearbeitung, des Zivilen Friedensdienstes und des "Schalomdiakonats". Wir Pazifisten entwickelten eine Vielfalt gewaltfreier Aktionsformen von der Sozialen Verteidigung und der Mediation bis zu internationalen Missionen in präventiver und auch konfliktvermittelnder Absicht. Der amerikanische Ex-Präsident hat mit seinem "Carter-Institute" Vorbildliches in dieser Hinsicht geleistet. In Deutschland ist zu verweisen auf die seit den 60er und besonders in den 90er Jahren entwickelten Alternativen im Entwicklungs- und Friedensdienst-Bereich. Im Sinne der Friedens-Gefährdung durch Not, Gewalt und Unfreiheit wurde in den 60er Jahren in Deutschland besonders 1967-69 eine erste intensive Debatte über neue Friedensdienste geführt, die schließlich ins Entwicklungshelfergesetz von 1969 mündete. Damals sprach einer der Initiatioren, Wolfgang v.Eichborn, davon, nun sei "als erster Friedensdienst der Entwicklungsdienst" anerkannt worden. Es kam nie zur Anerkennung eines weiteren "zivilen Friedensdienstes" wie er schon damals genannt und gefordert wurde; lediglich ist 1998 der ZFD als Teil des Entwicklungsdienstes anerkannt und seither offiziell gefördert worden - mit einer im Vergleich zu militärischen Ausgaben verschwindend kleinen Summe von jährlich 19,5 Mio DM. Der Ausbau dieses politischen Erbes könnte eine wirklich Alternative zu militärischem Eingreifen werden, würde sie nur ähnlich stark gefördert wie dieses! Das Auswärtige Amt hat etwa die Hälfte dieser Summe seinerseits zur Verfügung für die Fortbildung von Friedensfachkräften, d.h. zivilen Beobachtern und Begleiterinnen bei UN- und OSZE-Missionen, wie etwa der Wahl im Kosovo. Es gibt genügend nichtstaatliche Organisationen, etwa in der "Plattform zivile Konfliktbearbeitung/ ZKB" zusammengeschlossen, die eine politische Basis für die Weiterentwicklung darstellen. Mittlerweile gehört es schon zur Routine, wenn wir bei Pax Christi das Schreiben eines benachbarten Entwicklungsdienstes bekommen, in dem es z.B. heißt: "Wir bitten um Anregungen und Vorschläge, um gemeinsam getragene Vorhaben im Rahmen des ZFD durchzuführen, in denen es Bedarf für die Mitarbeit von Friedenfachkräften geben kann. Insbesondere kommen hierfür Aktivitäten in den Bereichen Bildungsarbeit, Versöhnungsarbeit, Friedenserziehung, gewaltfreie Konfliktbearbeitung, Flüchtlingsarbeit, Vorhaben der Prävention von gewaltsamer Konfliktaustragung und in der Konfliktnachsorge in Frage." 4. Das Leitbild einer Kultur des Friedens und der Toleranz, einen dialogisch-politischen Entwurf der Anerkennung unterschiedlicher Interessen und Positionen als Voraussetzung der Verweigerung eines grundsätzlichen Gut-Böse-Schemas, wie es in jüngsten Äußerungen von Präsident Bush von der totalen Ausmerzung des Bösen wieder aufscheint - in eigenartigem Kontrast - fast wie ein Widerschein - zum islamistischen Feindbild des grundsätzlich bösen Westens. Hier liessen sich viele Autoren zitieren; ich verweise besonders auf den berühmten norwegischen Friedensforscher Galtung und den amerikanischen Friedensstifter Jean Paul Lederach. 5. Das Leitbild des Völkerrechts im Sinne von Kants "Ewigem Frieden", nämlich einen weltweit koordinierten und kodifizierten juristischen Weg der Gewaltkontrolle durch Entwicklung weiterer UNO-Instrumente zur Bekämpfung und Bestrafung internationaler Gewalttäter - der nächste Schritt dazu ist die Ratifizierung des geplanten Internationalen Strafgerichtshofes. Abschließend noch einige grundsätzliche Bemerkungen. Der ev. Sozialethiker Wolfgang Lienemann hat schon 1993, zwei Jahre vor Srebrenica vorgeschlagen, "auf Dauer eine UNO-Streitmacht zur Durchsetzung des Völkerrechts" aufzubauen - bei gleichzeitiger Abrüstung der nationalen Armeen. "In dieser Ordnung wären Soldaten ihrer Funktion nach von Polizisten nicht mehr zu unterscheiden. Ich denke, ihre Legitimität würden auch Pazifisten anerkennen können." Ich antworte: Ja, dies kann ich, wenn der Begriff Militär und damit die Institution des Krieges als politisches Mittel von nationalstaatlicher und auch blockbezogener Machtpolitik wirklich aufgegeben wird. Wenn jetzt Erhard Eppler angesichts der "privatisierten Gewalt" im Prozess der Auflösung des staatlichen Gewaltmonpols oder überhaupt staatlicher Strukturen, sagt (taz v. 19.11.2001): "Der Pazifismus ist nicht tot, aber er muss sich wandeln. Er muss zum Partner des Militärs werden." - so kann ich dem so nicht zustimmen. Ich habe zwar erlebt, wie auf dem Balkan die Zusammenarbeit problemlos im Bereich praktischer Hilfe lief, aber da handelte es sich faktisch nicht mehr um Militär, sondern ihrer Funktion nach um Polizei und technische Hilfskräfte. Ich warne also davor, dass Pazifisten und Friedensfachkräfte in die Logik des Militärs eingebunden werden - praktisch, ideologisch und politisch. Nein, Militär ist historisch überholt und muss sich einer grundlegenden Konversion unterziehen - oder sich auflösen. Diese Debatte steht dem Pazifismus in der Tat jetzt bevor. Und ein Letztes: Friedensarbeit braucht Geduld, Langsamkeit, Liebe, Wachsen von unten. Sie kann nicht wie Militär schnelle Lösungen einreden, schaffen, vorgaukeln und durchkämpfen. Aber die schnellen Sieges-Lösungen schaffen erfahrungsgemäß wieder ihrerseits neue Ungerechtigkeiten und neuen Unfrieden. Es braucht den Aufbau von Friedenskultur - das geht nur von unten. Und zum anderen braucht es die eigene Selbstkritik im sich ausweitenden Weltkonflikt zwischen Nord und Süd, den Versuch die Anteile am Konflikt zuzugeben, das heißt besonders für uns im Westen, die von unserer wirtschaftlichen Dominanz verübten Ungerechtigkeiten, auch tödlichen Folgen! Wir müssen uns schonungslos fragen, wie Gerechtigkeit weltweit statt in der militärischen Absicherung ökonomischer Herrschaft in einer neuen Kultur des Dialogs und in einem Dialog der Kulturen entwickelt werden kann. Dazu braucht es alle pazifistischen Kräfte. Nachfolgend noch der Podiumsbeitrag von Reinhard Voß in der abschließenden Plenumsveranstaltung des Friedensratschlags: Ich kann nicht für "die" Kirchen sprechen, wohl aber für die deutsche Sektion der internationalen Katholischen Friedensbewegung "pax christi" ,deren Generalsekretär ich seit dem Frühjahr 2001 bin. Mein Vorgänger Joachim Garstecki ist nach dem jahrelangen sog. Pazifismusstreit in unserer Bewegung (90er Jahre, besonders nach Srebrenica 1995) in der Öffentlichkeit oft als Vertreter der "ultima ratio"-These vom Einsatz des Militärs als letztem Mittel bei schweren Menschenrechtsverletzungen dargestellt worden. Er hatte dies meist eher peripher genannt, wurde aber damit in Schlagzeilen zitiert. Ich habe nach meinem Amtsantritt unmissverständlich gesagt - aus Überzeugung, aber auch um schnellen Vereinnahmungen zu entgehen: Ultima ratio und militärische "humanitäre Interventionen" sind Begriffe, die ich nicht verwende und nicht unterstütze. Denn die "Institution des Krieges" ist für mich historisch überholt - nicht zuletzt wegen des blutigsten Jahrhunderts der Weltgeschichte, des 20., und der Massenvernichtungsmittel, der unweigerlich stattfindenden Massentötung von Zivilisten und der inzwischen vorhandenen Alternativen ziviler Konfliktbearbeitung. Wir sind in der Friedensbewegung der 80er Jahre mit dem lauten "Nein ohne jedes Ja" (zu Massenvernichtungsmitteln) angetreten, haben dann in den 90ern angesichts des (2.) Golfkrieges hart (politisch, pädagogisch, spirituell) an Alternativen der zivilen Konfliktbearbeitung und des Zivilen Friedensdienstes, in der Asyl- und Menschenrechtsbewegung gearbeitet, also an einem konsequenten "Ja". Da war die Friedensbewegung nicht mehr massenhaft auf den Strassen zu sehen, aber sie war in vielfältigen Alternativprojekten zum Krieg tätig - gerade auch in Kriegs- und Krisengebieten. Erst im letzten Jahr habe ich neu gelernt, dass wir bei diesem "Ja" das "Nein" zu sehr zurückgestellt hatten und dass Ja und Nein zusammen gehen müssen: das Ja der Zivilen Konfliktbearbeitung und das Nein des Antimilitarismus. Friedensfachkräfte sind mehr als Lückenbüßer: "Das Spektrum reicht von der im engeren Sinn politischen Dimension über den Ausbau oder den Aufbau verlässlicher Infrastruktur für zivile Konfliktbearbeitung bis hin zur Erneuerung gestörter zwischenmenschlicher Beziehungen (...) sei es als potentieller 'Bürger-als-Friedensstifter' auf der Ebene politischer Multiplikatoren unterhalb der höchsten politischen Führungsebene, sei es als Beobachter von Gerichtsverfahren und Wahlen, sei es als Vermittler von Dialogen zwischen verfeindeten Kollektiven." (EKD-Zwischenbilanz "Friedensethik in der Bewährung", Hannover 2001, S.89) Im Rahmen ökumenischer Basisgruppen und Netzwerke, der Szene, zu der ich seit 20 Jahren gehöre und die für 2004 eine große Ökumenische Basisversammlung plant, werden derzeit Thesen zu "nachhaltiger Friedensarbeit" entwickelt, deren Zielrichtung ich im Sinne eines vielfachen "Paradigmenwechsels" noch kurz skizzieren will, indem ich die Überschriften zitiere: 1. Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden 2. Von einer am eigenen Nutzen orientierten Interessenpolitik zu einer Politik, die einem übernational verstandenen Gemeinwohl dient. 3. Von machtpolitischer Konkurrenz zu einem Konzept kooperativer Sicherheit 4. Von der Gewaltanwendung in vielfältigen Formen zur Minimierung jeglicher Gewalt 5. Von der Minimierung zur "Überwindung von Gewalt" (Dekade des Ökumenischen Rates der Kirchen 2001-2010) 6. Vom nationalstaatlichen Gewaltmonopol zum Gewaltmonopol der UNO 7. Vom Beschweigen von Schuld zur Nachsorge bei Konflikten 8. Von einer der militärischen Logik untergeordneten religiösen Betreuung der Soldaten zur friedensfördernden Seelsorge "Christen in der Friedensbewegung" nannten wir uns in den 80er Jahren. Auch heute beteiligen wir uns daran, denn wir brauchen eine neue breite außerparlamentarische Friedensallianz! (Quelle: www.friedensratschlag.de)
Bischof Manfred Kock(Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland & Präses im Rheinland): Zum US-Militäreinsatz in Afghanistan und zum "christlichen Pazifismus" "Über die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung werden wir im Unklaren gelassen. Für viele Hunderttausende Bewohner eines ohnehin von Jahrzehnte langen Kriegen geschundenen Landes werden die Lebensgrundlagen weiter zerstört." (Quelle: NRZ 5.11.2001) Gegen die von Terror, Krieg und Ungerechtigkeit geplagte Welt steht das Bekenntnis von der Rettung, vom Vertrauen und der unbezwingbaren Hoffnung. Gottes Volk, seine Gemeinde ist Resonanzkörper der Botschaft vom Frieden und Heil. Darum stimmt sie nicht ein in die Sprache der Gewalt, der Angst und der Resignation. Gerade dort, wo das übermächtige Böse fassungslos macht oder wütend und zu Hass und Vergeltung verführen will, erinnert diese Botschaft an Recht und Frieden und will so die finstere Wirklichkeit verändern.... Dieses aber will ich deutlich machen: Die radikal-pazifistische Position muss in unserer Kirche nach wie vor zu Gehör kommen, weil sie die Radikalität Jesu wach hält, die der "nichterlösten Welt" einschärft, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll. Krieg ist nie gerecht. Auch wenn militärische Gewalt als das äußerste Mittel eingesetzt wird, um ein größeres Übel abzuwehren, laden Menschen Schuld auf sich. Immer ist, wenn es als ultima ratio, als äußerstes Mittel, zum Krieg kommt, schon politisch Entscheidendes versäumt worden. Nicht nur das Böse der anderen ist die Ursache des Krieges, es sind auch die eigenen Fehler, die zum Krieg führen. Auch wenn militärische Gewalt von der Völkergemeinschaft verantwortet wird, muss sie etwas Vorläufiges sein, allenfalls ein Schutzschild für die eigentliche friedenschaffende Arbeit. Im Zusammenhang des Kriegseinsatzes in Afghanistan war von einer umfassenden Friedensarbeit die Rede, von der Ausrichtung des gesamten politischen Handelns auf die Überwindung friedensgefährdender Konflikte, von der Schaffung einer gerechteren internationalen Ordnung, von der Notwendigkeit fundierter Ursachenanalysen und langfristiger Konzepte der Konfliktvorbeugung. Eine solche Politik bietet tatsächlich die besten Aussichten, Hass und Fanatismus als den gefährlichsten Brutstätten für terroristische Bewegungen das Wasser abzugraben. Die finden ihren Nährboden in der ungerechten Verteilung des Reichtums, vor allem wenn Scharfmacher die Religionen benutzen, um Menschen zur Gewalt zu verführen. Aber der Schock des 11. September ist inzwischen schon fast vergessen. Statt für Gerechtigkeit und Überwindung des Elends zu kämpfen, beginnt man sich daran zu gewöhnen, den mit militärischer Gewalt erreichten kurzfristigen Erfolg für ausreichend zu halten. Aber das wird sich bitter rächen. Wer alle Schutzmaßnahmen zur Verhütung von Bränden vernachlässigt, kann eine noch so gute Feuerwehr haben, die Schäden werden nicht geringer. Die Landessynode hat vor zwei Jahren im Rahmen der friedensethischen Diskussion erneut bekräftigt, der gewaltfreien Lösung von Konflikten gebühre der Vorrang. Sie hält es für eine bleibende Aufgabe, wirtschaftliches Handeln, soziale Gerechtigkeit und die Friedensfrage inhaltlich zu verknüpfen und daraus Konsequenzen für das kirchliche Handeln abzuleiten. (Kurze Auszüge aus dem Bericht des Präses Manfred Kock für die Rheinische Landessynode der Evangelischen im Januar 2002) Bischof Thomas Gumbleton, Detroit (USA)(geistlicher Begleiter der US-Sektion der internationalen katholischen Friedensbewegung Pax Christi) Zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Um Lösungen für das Terrorismusproblem zu finden, müssen die Vereinigten Staaten und der Westen sich selber kritisch und nüchtern betrachten. Amerika hat es so weit gebracht, dass wir Amerikaner tatsächlich die Welt beherrschen. Wir haben diese Weltherrschaft ausgeweitet auf die sieben mächtigsten Industriestaaten, die ökonomisch mächtigsten Länder der Ersten Welt - doch wir Amerikaner sind die Führer. Diese Gruppe der Sieben umfasst ein Fünftel der heutigen Menschheit, doch sie beansprucht rund 87 Prozent, nahezu neun Zehntel des gesamten Welteinkommens. Wir erleben gegenwärtig eine "Zeit der Versuchung" für die Friedensbewegten. Sie veranstalten kleine Gedenktreffen und "Candlelight vigils", Mahnwachen, auf den öffentlichen Plätzen ihrer Wohnorte. Und sie sind dabei hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, gute Patrioten zu sein, und dem Willen, die "anderen", verdrängten politischen Realitäten wahrzunehmen und zu Gehör zu bringen. Die Friedensbewegten stehen vor der Doppelaufgabe: einfühlsam mitleiden mit den Trauernden, Leidtragenden und Opfern der Ereignisse von New York und Washington; und die Bürger zu informieren und zum Nachdenken zu bringen über jenen Terrorismus, der schon lange vor dem 11. September 2001 weltweit präsent war, sowie über die dafür Verantwortlichen. Es geht dabei darum, zu erkennen, dass wir, die Vereinigten Staaten, diesen Zorn auslösten und aufbauten. Die Amerikaner müssen endlich hinhören auf das, was die anderen sagen. Sie haben die Pflicht, die US-Medienberichterstattung zu hinterfragen, um herauszubekommen, was tatsächlich Realität ist in der Welt. Wir brauchen eine Sondersitzung der Vereinten Nationen, bei der die ärmsten Länder - die Gruppe der 77 - die echte Chance zur Mitsprache erhalten und über ihre Sicht der weltweiten Gerechtigkeitsfragen ausführlich und öffentlich zu Wort kommen sollen. Doch wir hören nicht hin. Wir veröffentlichen nicht, was sie uns sagen. Stattdessen bestimmen die USA, was das Beste sei für die Weltordnung, und das Vorteilhafteste für uns Amerikaner. Und dann setzen die USA das durch. Die USA verstehen nicht, was sich in der Welt von heute tatsächlich abspielt. Und sie verdrängen die wahren "Kosten" ihrer wirtschaftlichen Übermacht. (Quelle: Publik-Forum Nr. 19/2001; Text-Dokumentation Barbara Jentzsch; Übersetzung: Thomas Seiterich-Kreuzkamp) StilleVon Marian Reke OSB (Abtei Königsmünster) Seit jenem 11. September geht es mir immer noch wie sonst am Tag nach einem nächtlichen Albtraum. Täglich holen mich die Bilder ein, die wiederholt gesehenen. Ich bewege mich wie auf dünnem Eis. Unsicher, ängstlich. Selbst das Gewohnte wirkt unheimlich. Mißtrauen wächst - auch gegenüber der alltäglichen Wirklichkeit. Wir sind ihrer Kehrseite ansichtig geworden, der Schattenseite. Nichts ist wie sonst, obwohl uns der Alltag mit seiner Geschäftigkeit nicht losläßt und so auch Fassung gibt und Halt. Wir wissen, daß wir in einer Welt leben, die der Mensch gemacht hat - zu seinem eigenen sicheren Vorteil, wie er meint. Das ist die eine Seite. Die andere ist, daß wir unbewußt seit langem ahnen: Nichts ist sicher von alledem. Das wuchernde Versicherungswesen gilt mir als ein Symptom. Ver-sicherung ist nicht Sicherheit. Wohin Sicherheitswahn führt kann, ahnt man angesichts der aktuellen Sicherheitsdebatte, in der das Recht und die Würde des Menschen, um die es gehen soll, zur Disposition zu stehen scheinen, vor allem seine Freiheit. Die selbstgemachte Welt des Menschen saugt ohnehin Tag für Tag unser Vertrauen an, ohne daß wir es merken. Jede übliche Auto- und Bahnfahrt, jede Reise über hohe Brücken und durch lange Tunnel, erst recht die Reise per Flugzeug, ist eine Sache unbewußten Vertrauens. So wird das Herz - der Quellort des Vertrauens - unbemerkt ausgelaugt in dieser nur versicherten, aber nicht sicheren Welt. Daß stattdessen längst die Angst eingedrungen ist, erleben wir zur Zeit, in der wenige Minuten genügten, um sie als blankes Entsetzen aufbrechen zu lassen. Die Zerstörung eines Zentrums der weltumspannenden Selbstmächtigkeit des Menschen, hat die Wirklichkeit - mit dem WTC in New York als Symbol - entlarvt, deren faszinierende Seite stets auch eine Kehrseite hat: heimliche Bedrohung und nicht wahrgenommener Schrecken. Ist es denn menschengemäß, über einer äußerst knapp bemessenen Erdfläche Menschenmassen aufzutürmen, nachdem längst die besorgte Frage gestellt ist: Wieviel Erde braucht der Mensch? Der Erdling, wie die Bibel ihn nennt. Nach einem Albtraum begleitet uns untergründig die Angst vor einem nächsten, der inzwischen längst brutale Realität geworden ist: Krieg in Afghanistan. Es mußte so kommen, sagt uns das Nachdenken über unsere frühe Befürchtung. Zu bemerken waren schon bald die Schlagwörter: religiöser Fundamentalismus und Fanatismus. Sie sollen die Urheber des Terrors treffen und treffen wahrscheinlich auch zu. Muß aber deshalb - in quasi religiöser Manier - die Rede sein vom "Feind im Dunkel", dem anonymen Bösen, gegen den nun alle Kräfte des Guten aufzubieten seien, um ihn zu bestrafen? Das wirbelt die Angst auf und schürt den Haß, wo Klarsicht des Herzens und ein kühler Kopf vonnöten sind. Ich weiß: es sind spontane Gefühle wie auch das Gefühl der Rache, als solche verständlich, aber nicht zu rechtfertigen und um so gefährlicher, wenn sie sich - statt wahrgenommen und bearbeitet zu werden - mit einer religiösen Weihe umgeben und hinter moralischen Pflichten verbergen. Das ist meines Erachtens ebenso pseudo-religiös wie der religiös motivierte Terrorismus und ebenso zerstörerisch wie dieser, weil beides einer Verwirrung der Gefühle entspringt. Aus dieser Schere führt allein ein waches Bewußtsein, das nicht derart in sich selbst gespalten ist, daß es nur das Gute in sich wahrnimmt oder gelten läßt und deshalb das Böse in sich verdrängen oder unterdrücken muß, um es dann im bösen Anderen zu sehen und zu bekämpfen. Vonnöten ist ein in Wahrheit religiöses Bewußtsein, das um seine eigene Zwiespältigkeit weiß, sich davon aber nicht zerreißen läßt, weil es sich zugleich auf einen inneren Einheitspunkt bezogen weiß, wo der anwesend ist, der seine Sonne scheinen und es regnen läßt über Gute und Böse. Wenn überhaupt vermag allein ein solches Bewußtsein aus der Schere von Gewalt und Gegengewalt zu befreien. Ist es nicht bemerkenswert, daß fast ausschließlich kirchliche oder kritisch religiös orientierte Stimmen die derzeitige Kriegspolitik als Antwort auf den Terrorismus in Frage stellen und ihre blinde Gewalt anprangern? Die Sprache auch unserer Politiker ist verräterisch und erschreckend - und wer eigentlich zensiert die Medien hinsichtlich "abweichlerischer" Äußerungen? Wir leben insgesamt - wie mir scheint - in einer sich immer mehr beschleunigenden Zeit, der längst der lange Atem ausgegangen ist. Das Leben erscheint als letzte Gelegenheit... Hier und jetzt kommt alles darauf an! Kurzamtigkeit ist die Folge. Der Philosoph Jean Gebser hat auf ein bemerkenswertes sprachliches Phänomen hingewiesen, das in der Verkürzung ursprünglich langer Vokale in manchen Wortwurzeln besteht. So hängen z. B. die Wörter Maß und Masse zusammen, auch Wörter wie die freilassende Muße und das zwingende Muß oder der Weg und das unsere Mobilität bestimmende weg, weg - nur weg von hier woandershin. Vielleicht fühlen Sie im Hören dieser Wortpaare, die jeweils aus denselben Wurzeln stammen, etwas von der Prägung auch Ihres Alltags und von dem, was ihm fehlt.
Maß - Masse.
Weg - weg.
Zum Friedensgebet in der Friedenskirche der Abtei Königsmünster Meschede - 27. September 2001Von Marian Reke, OSB: Zu Beginn: Eine jede, einen jeden von uns grüße ich mit dem Gruß des Friedens: "pax tecum", sagen Christen, Juden sagen "shalom" und "salam alaikum" die Moslems. Wenn wir uns hier und jetzt auch gegenseitig so grüßen, dann möge der Friede bei uns einkehren und zugleich über uns hinausgehen - in die Welt der Menschen und der gesamten Schöpfung. Ich bitte Sie also, sich mit dem Friedensgruß einander zuzuwenden. Danke, daß Sie der Einladung zu dieser ökumenischen Gebetsstunde gefolgt sind. Die Tage und Wochen seit dem 11. September waren zunächst durch eine große Sprachlosigkeit geprägt, die dann - wie nach einem Dammbruch - geradezu einer Wörterflut wich... Reden, Interviews, Verlautbarungen, Kommentare. Zwei Tage nach den Terroranschlägen in den USA trafen sich morgens in dieser Kirche die Schüler, die Schülerinnen und das Lehrkollegium unserer Schule, während landesweit die Glocken fünf Minuten schweigenden Gedenkens einläuteten. Was mich seinerzeit sehr berührt hat, war das schlichte Sprechen von drei stimmig ausgewählten Liedern und Gebeten - aus dem Schweigen ins Schweigen. Die eigene Sprachlosigkeit fand Zuflucht in den Worten anderer... So spreche ich zuerst das Gebet, das auf dem Friedenskapitel der Ordensleute zu Beginn der 80er Jahre in der damaligen BRD verfaßt wurde und seitdem in vielen Ordensgemeinschaften Woche für Woche gebetet wird: Gott, du bist ein Gott des Lebens und du willst, daß wir Menschen in deiner Schöpfung das Leben in Fülle haben. Wir kommen voller Ängste zu dir, ratlos und ohnmächtig angesichts der Gewalt um uns und in uns. Wandle uns in der Tiefe unseres Herzens zu Menschen, durch die dein Friede in unsere Welt getragen wird. Segne mit deinem Geist der schöpferischen Phantasie und der Geduld alle Menschen, die mit uns auf dem Weg sind zu deinem Reich des Friedens. Sende deinen Geist auch in die Herzen derer, die gefangen sind im Netz der Gewalt als Täter oder Opfer, und laß uns nie die Suche aufgeben nach dem Gespräch mit ihnen. Der du uns wie Vater und Mutter bist und uns in unserem Bruder Jesus Christus vorgelebt hast, wie wir Gewalt überwinden und Frieden schaffen können. Angriffskrieg als Ordnungsprinzipoder: Hinter der US-Militärpolitik steht die US-Wirtschaftspolitik
von Clemens Ronnefeldt
Am 2. Juni 2002 verlangte Präsident Georg W. Bush in einer programmatischen Rede vor Absolventen der US-Militärakademie West Point, jeder Zeit bereit zu sein, um ohne Zeitverlust in jeder dunklen Ecke der Welt zuschlagen zu können. Unsere Sicherheit verlangt von allen Amerikanern, resolut nach vorn zu schauen und bereit für präventive Schläge zu sein, wann immer das notwendig ist, um unsere Freiheit und unser Leben zu verteidigen. Der Krieg gegen den Terror wird nicht in der Defensivegewonnen, so der US-Präsident, wir müssen die Schlacht auf dem Boden der Feinde führen, ihre Pläne vereiteln und den schlimmsten Bedrohungen begegnen, bevor sie auftauchen. Diesen Worten lassen derzeit verschiedene grundlegende US-Militärstrategien Taten folgen. Am 17.7.2002 veröffentlichte die Los Angeles Times Auszüge aus den neuesten Richtlinien zur Verteidigungsplanung (Defense Plannig Guidance) für die Jahre 2004-2009. Bisher gingen die US-Militär-Planungen davon aus, zwei große Kriege an unterschiedlichen Orten gleichzeitig führen zu können, mit dem neuen Dokument wird erstmals betont, an jedem Ort der Welt die Initiative zu ergreifen und mit nicht erwarteten Angriffen Gegner künftig zu überraschen. Die Geschwindigkeit, mit der die US-Führung künftige Angriffskriege als neue Art der Ordnungspolitik umsetzt, scheint derzeit Freunde (falls - von Tony Blair einmal abgesehen - überhaupt noch vorhanden) wie Feinde gleichermaßen zu überraschen und zu lähmen. Die neue Aufteilung der Welt unter US-Kommandos Am 1. Oktober 2002 bereits wird die Welt neu aufgeteilt. Es wird zum ersten Mal in der Geschichte keinen Winkel der Erde mehr geben, der nicht unter einem der nationalen Militäroberkommandos der USA steht. Für die Verteidigung Nordamerikas wird ein militärisches Oberkommando (NORTHCOM) völlig neu eingerichtet. Die Zuständigkeit des Oberkommandos Europa (EUCOM), dem bereits jetzt der größte Teil Afrikas untersteht, wird künftig erstmals auch den ehemaligen Konkurrenten Russland umfassen, zum Pazifischen Oberkommando (PACOM) kommt die Antarktis hinzu. Unverändert bleiben die Zuständigkeiten für Mittel- und Südamerika (SOUTHCOM) sowie für Nordostafrika, Persischer Golf, Zentralasien und Pakistan (CENTCOM). Wie Otfried Nassauer in der FR-Dokumentation am 15.7.02 ausführlich dargelegt hat, entsteht am 1.10.02 ein neues militärisches US-Machtzentrum, ein Oberkommando, dem Frühwarnsysteme und Satelliten, Raketenabwehrsysteme und strategische Angriffsraketen, strategische Mittel für konventionelle und nukleare Angriffsoptionen unterstellt werden. Washington plant eine integrierte Kommandozentrale für - auch präventive -strategische Angriffe, strategische Vergeltungsangriffe und strategische Verteidigung. Bereits Ende Juni 2002 fällte die US-Regierung die weit reichende Entscheidung, die beiden eh schon je für sich sehr mächtigen Oberkommandos für den Weltraum (SPACECOM) und das der Strategischen Streitkräfte (STRATCOM) in einer einzigen Behörde auf der Offut Air Force Base in Nebraska zusammenzuführen. Mit dem neuen strategischen Oberkommando wird einer der entscheidenden und umstrittenenen Grundgedanken der jüngsten Überprüfung der Nuklerarstrategie und -streitkräfte der USA, des Nuclear Posture Review, erstmals umgesetzt. Defensive und offensive Elemente werden ebenso integriert wie konventionelle und nukleare Angriffsoptionen.... Vereinfacht: Washington will zuschlagen können, bevor es getroffen wurde.... Besondere Besorgnis ruft auch die Tatsache hervor, dass präemptive, nukleare Angriffe nicht ausgeschlossen werden. Das Argument: Viele potenzielle Ziele, äußerst tief unter der Erde oder in Gebirgen gelegene Bunker zum Beispiel, könnten mit konventionellen Waffen nicht gesichert zerstört werden (O. Nassauer, FR, 15.7.02). Als einer der ersten wies Herbert Kremp am 27.2.02 in der Welt darauf hin: Die Bush-Doktrin wird sich in ihrer Entwicklung nicht auf die Beseitigung der terroristischen Untergrundmächte und ihrer Helfer beschränken. Ihre konsequente Verfolgung impliziert die Ausweitung in drei Richtungen:
Kremp bescheinigte der Bush-Doktrin: Sie diktiert einen Verhaltenskodex am Rande der Unterwerfung. Hinter der US-Militärpolitik steht die US-Wirtschaftspolitik Wenn der irakische Diktator Saddam Hussein wissen will, wie lange er voraussichtlich noch an der Macht sein wird, dann muss er dreierlei im Auge behalten: amerikanische Meinungsumfragen, die Kurse an der Wall Street und den Sitzungskalender von Senat und Repräsentantenhaus: Denn US-Präsident George Bush wird seinen immer wieder angekündigten Angriff auf Bagdad letztlich von innenpolitischen und wirtschaftspolitischen Faktoren abhängig machen, begann Wolfgang Koydl seinen Artikel Bereit fürs Abenteuer in Bagdad(Süddeutsche Zeitung, 19.7.2002). Nach Enron- und Worldcom-Konkursen stehen Vizepräsident Cheney als ehemaliger Chef des weltweit größten Ölindustriezulieferers Hulliburton wie auch Georg W. Bush als ehemaliger Top-Manager des Öldienstleistungsunternehmens Harken Öl wegen Bilanzfälschungen und ihrer Verwicklung in Insidergeschäfte in der öffentlichen Kritik - und vor den Kongress-Zwischenwahlen im November 2002 unter enormen Druck. Im Auge behalten sollte die irakische Führung auch die Wirtschaftsseite der FAZ. Ein unter der Rubrik `Finanzmärkte' sehr versteckter Artikel weist am 16. Juli darauf hin, dass an den Terminbörsen in London und New York ein atypischer Preisanstieg bei kurzzeitig fälligen Ölkontrakten zu verzeichnen sei. Börsianer fragen sich, ob da Kräfte am Werk sein könnten, die mit baldigen Versorgungsschwierigkeiten rechnen. Der Irak ist ein bedeutender Ölexporteur: In Falle eines Krieges würde er die Ausfuhren vermutlich einstellen, schrieb Michael Jäger in der Wochenzeitung Freitag (Krieg im Herbst?, 26.7.02). Bereits am 22.4.02 berichtete die Frankfurter Rundschau, dass die US-Rüstungsindustrie einen Boom wie seit 20 Jahren nicht mehr erlebt und führte aus: Sollten die Pläne für eine Militäroffensive gegen Irak wahr werden, kann die US-Rüstungsindustrie auf weitere Wachstumsimpulse hoffen. Rüstungsaktien sind nach Einschätzung von Experten in jedem Fall auf längere Sicht eine sichere Anlage. Allein bei den vier Branchenriesen Lockheed Martin, Northrop Grumman, Raytheon und General Dynamics stiegen die Aktienwerte seit den Anschlägen vom 11. September zusammen um 44 Prozent. Nicht nur, dass der Krieg kurzzeitig die Produktion ankurbelt, indem Nachschub an Bomben, Ersatzteilen und sonstigen Rüstungsgütern geliefert werden muss. Vor allem ist es die Hoffnung auf eine längerfristige Serie lukrativer Aufträge, die die Aktienkurse `dramatisch' in die Höhe schießen lassen, sagt Paul Nisbet von JSA Research, einem Forschungsinstitut der Luftfahrtbranche. Der Afghanistankrieg hat die Waffenarsenale an mancher Stelle weitgehend geleert, so dass jetzt erst einmal nachgefüllt werden muss. So weitete Boeing in St. Charles/Missouri den Schichtdient aus, um die Produktion von JDAM-Präzisionssystemen für die `smart bombs' anzukurbeln. Derzeit sind die Vorräte so erschöpft, dass nach Meinung mancher Experten ein Angriff auf Irak gar nicht möglich wäre. Im Herbst 2002 werden voraussichtlich die Mindestmunitionsmengen für einen Irak-Krieg wieder erreicht sein. Offensichtlich sei, dass die Kriegshandlungen die Investitionen in die US-Rüstungsindustrie erhöhten und der Wirtschaft mehr Dynamik gäben, um aus der bereits vor dem 11. September drohenden Rezession herauszukommen, schrieben die katholischen Bischöfe Brasiliens Ende 2001 in ihrer Monatsanalyse (zit. nach FR, 8.12.01). Die neuen geplanten US-Präventivkriege werden vielleicht noch einige Jahre den Niedergang der US-Wirtschaft hinauszögern können und etliche tausende unschuldiger Opfer nach sich ziehen; ohne eine grundlegende Reform der US- wie auch der gesamten Weltwirtschaft wird der wirtschaftliche Niedergang der einzigen Weltmacht wohl kaum noch aufzuhalten sein. Die USA sind ein wirtschaftlicher Koloss auf tönernen Füßen Der Spiegel erschien am 8.7.02 mit dem Aufmacher Der neue Raubtierkapitalismus - Mit Gier und Größenwahn in die Pleite, in dem Parallelen zwischen 1929 und 2002 hergestellt wurden. Der Titel beschreibt m.E. zutreffend die derzeitige Verfassung der US-Wirtschaft. Einer der führenden US-Ökonomen, Paul Krugmann, erklärte Anfang 2002, dass sich die Enron-Pleite einmal rückblickend als bedeutsamerer Wendepunkt für die US-Gesellschaft erweisen würde als der Einsturz des World Trade Centers. Wilfried Wolf wird nicht müde, immer wieder auf die Grunddaten der US-Wirtschaft hinzuweisen, so z.B. in seinem Beitrag Terror der Ökonomie, junge Welt, 27./28.7.02: Obwohl die USA weltweit rund die Hälfte aller Auslandsdirektinvestitionen tätigen, sieht es in der Gesamtschau derzeit sehr düster aus:
Wo bleibt der Widerstand der europäischen Politik? Das politische Washington neigt immer mehr zu der Schlussfolgerung, dass Europa weder politisch noch militärisch ein ernsthafter Partner bei der Gestaltung von Weltordnung sein will, dass Europa sich der Übernahme globaler Verantwortung entzieht. Die Passivität der europäischen Staaten muss umso mehr erstaunen, da die Politik der Regierung Bush dem Prinzip der europäischen Integration - der zunehmenden Verrechtlichung internationaler Beziehungen - zuwiderläuft und die Grundinteressen europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, Multilateralismus und Multipolarität, immer deutlicher negiert, bilanziert Otfried Nassauer (FR, 15.7.02). Noch deutlicher wird Egon Bahr: Die erkennbare und beschlossene amerikanische Rüstungspolitik stellt einen fundamentalen Angriff gegen die erklärten europäischen Interessen dar. Dies wird Europa nicht vor der Entscheidung bewahren, ob es seine Streitkräfte als Schild Europas oder als Schwert Amerikas auslegen will. Ob es sicherheitspolitisch Protektorat bleiben oder selbstbestimmt werden will;... Vasallen erstreben das Lob der Protektoratsmacht, Partner respektieren und berücksichtigen unterschiedliche Rollen, so Bahr (in: Wissenschaft und Frieden, 3/02, S.15). Vor einem Irak-Feldzug dürfen die Europäer nicht nur murren, sie müssen die USA unter Druck setzen, fordert Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung (23.7.02) und führt aus: Die Europäer reagieren auf die Vorstellung von einem neuen Krieg am Golf apathisch: Sie stellen resigniert fest, dass es sich nur noch um eine Terminfrage handle. Im Grundsatz sei die Entscheidung über den Einsatz gefallen. Diese Einstellung ist aber falsch, weil sie Europas Einfluss mutwillig verkleinert und gleichzeitig immenses Konfliktpotenzial in die Gesellschaften trägt. Wer, wie die europäischen Regierungen dies derzeit tun, den Kopf in den Sand steckt, wird bald mit den Zähnen knirschen. Mögliche Schritte der Bundesregierung Erste Schritte im Hinblick auf eine eigenständige Politik der Bundesregierung, die dem Grundgesetz, dem Völkerrecht und der Humanität verbunden wären, könnten im Hinblick auf den geplanten Irak-Krieg sein:
Das zeitliche Zusammentreffen der NATO-Tagung im November 2002 in Prag mit der dort zur Beschlussfassung stehenden US-Forderung nach Unterstützung präventiver Kriege bei gleichzeitig laufenden Drohungen gegen Irak im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl weckt Erinnerungen an den bevorstehenden NATO-Gipfel1999 mit dem Beschluss zu Militärinterventionen ohne UN-Mandat und dem zeitlich parallel laufenden Präzedenzfall Kosovo im Vorfeld der Bundestagswahl 1998. Wieder wird an einem möglichen Wendepunkt der deutschen Innenpolitik eine alte wie möglicherweise neue Bundesregierung von den Washingtoner Strategen in die sicherheitspolitische Zange genommen. Den - wahrscheinlich nicht unerheblichen - Konflikt mit der US-Regierung in der Irak-Frage zu riskieren, könnte den Beginn einer neuen Phase der transatlantischen Beziehungen einläuten. Dies wäre ein mehr als überfälliger Schritt - und ein Gebot der politischen Vernunft.
Clemens Ronnefeldt, |
Seite zuletzt geändert: 2002-11-06 wk.
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