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Götzenkult der Macht

von Peter Bürger

I.

Jesus setzte bei seiner Zuhörerschaft ein illusionsloses Wissen darüber voraus, wie es die Mächtigen in dieser Welt halten. Die Menschen, die sich um ihn versammelten, wollte er zu einem anderen Weg verführen. Fangt an, die anderen zu respektieren statt sie zu bevormunden. Spielt euch nicht als Herren über sie auf, und lasst selbst niemanden außer Gott Herr über euch sein! "Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein." (Mk 10, 42-44)

Irgendwann wird ein Mensch sich entscheiden, wie er mit allen körperlichen, geistigen und sonstigen "Stärken", die er sich wider die eigene innere Angst notvoll errungen hat, umzugehen gedenkt. Irgendwann wird er entscheiden, ob er die Gunsterweise seines Lebensweges als Geschenke oder als machtvolle Instrumente, als Waffen verstehen möchte. Irgendwann wird er auch entscheiden, wie er zu jenem mächtigen Verbund sich stellt, in dem er sich als Mitglied einer Sippe, einer Parteiorganisation oder auch einer Kirche vorfindet... Irgendwann also wird sich ein Mensch entscheiden, ob er den Weg der Macht oder den Weg des Lebens beschreiten will. Wird er als ein unverwundbarer Herr alles und alle beherrschen, oder wird er als ein verwundbarer Mensch sich selbst und anderen zu Diensten sein? Wird er zärtlich sein oder hart? Wird er ein gemachter Held, der seinen Geburtsschoß, die Erde, zerstört? Oder wird er ein Mensch, der seine Mutter, die Erde, als ein Geborener ehrt? Wird er sich auf die Suche nach sich selbst begeben, indem er anderen Menschen offen begegnet? Oder wird er nur nützliche Marionetten um sich herum sammeln und dabei sich selbst ein Fremder bleiben?

Rang und Namen stehen eng beisammen an des Lebens Tor. Die Entscheidung für den Rang bedeutet, den eigenen wahren Namen niemals zu erfahren und stattdessen aus einer Lüge heraus zu leben. An diesem Wendepunkt verspricht die Anbetung des Götzen Macht, dass einem "alle Reiche dieser Erde" zu Füßen liegen werden (Mt 4,1-11; Lk 4,1-13; Mk 1,12f). Das heißt es, selbst "Gott" zu werden oder doch Teil der mächtigsten Gottheit. In Jesu Augen jedoch bedeutet es, sich selbst an die Macht, an dieses inwendig hohle Götzenbild, zu verkaufen: "Höre, höre! Höre Israel! Höre du! Ist das dein Gott?" Macht ist in Jesu Sicht der Dinge niemals etwas Starkes oder etwas Neutrales, das nur recht gebraucht werden muss. Aufgeplustertes und selbstgefälliges Gebaren, darin besteht das hässliche Bild erbärmlicher Götzen. "Macht" markiert für die Weisheit jeder wahren Religion einen gefährlichen Holzweg des Todes, auf dem man sich und andere niemals finden wird. Deshalb stellen die religiösen Traditionen einem Menschen, der noch sucht, die wichtige Frage: Wirst du dem unaufhörlichen Geriesel der Angst folgen, das Herz und Kopf einlullt? Wirst du dich selbst als Käufer und Ware auf den Markt der Macht begeben, der dir so verlockend erscheint und der dich doch bestechlich machen wird? Wirst du der Schleimspur der Macht folgen, die alles Menschliche zudeckt? Wirst du dich treiben lassen in ein eitles, vergebliches Wollen, mit dem du dein nie gefundenes Ich stets aufs neue vortäuschen musst? Der Bannkreis der Macht ist nicht harmlos, für keinen. Jeden kann die Macht korrumpieren. Jeder, der in das System, in den Raum der Macht eintritt, ist dabei, seine Wurzeln zu verlieren und ein anderer zu werden.

Nur ein Heilmittel gibt es, das uns befähigt, dem Götzen Macht zu widersagen. Wir müssten jenes Ja, das hinter allem steht, hören, jenes Ja, das nur der wahre Gott in uns sprechen kann. Wer so zu hören beginnt, über den hat die Macht keine Macht mehr, für den hat sie jede Attraktivität verloren. Wer so zu hören beginnt, sieht, was jenseits der Macht wartet: Die Erdnähe, die humilitas, der kräftige Mut zur Lebensdienstbarkeit, ein sanftes Joch, das nicht belastet und dessen Träger zur Ruhe eines inneren Friedens gefunden hat. Das ist eine Kraft und eine Art von Vollmacht, eine Schönheit, wie sie dem wahren Gott in seiner Güte ursprünglich zu eigen ist. Da gibt es keine Kompromisse: Im Bann der Macht kann nichts von dem wachsen, was der göttlichen Vollkommenheit verwandt ist.

Manchmal versuchen übrigens Leute im modernen Kirchenmanagement, ihre Aufgeklärtheit unter Beweis zu stellen, und geben unumwunden zu, Freude an einer verantwortlichen, kontrollierten Machtausübung zu empfinden. Solche Statements sind aktuelle Ausläufer jener Korruption, die sich mit dem Staatskirchentum im 4. Jahrhundert endgültig in die Köpfe der Christenheit eingenistet hat. Vom Ernst der Botschaft Jesu angesichts der Machtlogik dieser "Welt" bleibt bloß noch ein Appell übrig, die Macht doch bitte nett zu verpacken. (Bei weniger modernen Kirchenhierarchen finden wir häufiger den asketischen Typus der Macht, der schier bescheiden lebt, auf materiellen Besitz verzichtet und stets als uneigennützig erscheinen möchte). Doch mit den hässlichen Gesichtern der Macht hat die Vollmacht wirklicher Menschlichkeit, von der Jesus spricht, nichts gemeinsam.

II.

Da sind, so die Zwölfapostellehre aus dem ersten Jahrhundert, zwei Wege zu wählen: ein Weg des Todes und ein Weg zum Leben, eine todbringende "Überlebensstrategie" der Macht und ein befreiter Dienmut zugunsten des Lebendigen. Nun, die Alternative muss einem erst mal glaubwürdig gezeigt werden. Hätte sich in der Kirchengeschichte die pelagianische Auffassung von der unproblematischen Wahlfreiheit jedes Menschen durchgesetzt, so wäre hernach aus christlicher Sicht bereits alles gesagt. Man muss sich ja eben nur entscheiden. Die herrschenden Unterdrücker und die missbräuchlichen, bösen Mächtigen, auf die Jesus verweist, hätten sich also nur falsch entschieden. Doch leider sind die wirklichen Verhältnisse um ein vielfaches tragischer. Zur Macht drängt es ja gerade jene, die sich inwendig am ohnmächtigsten fühlen. Attraktiv sind solche traurigen Leitgestalten für all jene, die ihre innersten Ohnmachtsängste teilen und die sich deshalb den Machtmenschen in masochistischer "Erlösungsbereitschaft" ergeben. - Wie bei den Kultdienern des Mammons kommt deshalb auch bei den Anbetern der Macht die prophetische Drohung eigentlich immer schon zu spät. Es gilt, gleichzeitig auf die Erbärmlichkeit der "Mächtigen" zu schauen. Der Demagogie eines Adolf Hitler kann nur widerstehen, wer im selben Atemzug mitfühlend die innerste Erbärmlichkeit dieses Mannes wahrzunehmen vermag.

Doch an dieser Stelle bleibt das soziologische Dilemma, dass zumeist die ganz nach oben kommen, die als Getriebene nach ganz oben wollen, und zu selten die, die oben segensreich wirken könnten. Warum wohl sollte sich ein zufriedener Mensch nach dem krankmachenden Tagesablauf eines Spitzenpolitikers sehnen? Warum sollte ein frommer Seelsorger alles daran setzen, in die oberste Etage der Kirchenhierarchie aufzusteigen? Warum sollte jemand, der bereits alles Wesentliche als Geschenk erhält, alles mögliche gewinnen wollen? Warum sollte sich ein Mensch, der Liebesfähigkeit und Lebensweisheit ersehnt, auf einen Propagandaapparat des "intelligenten" Machtinstinkts einlassen? Wie könnten wir überhaupt Parteitage dazu anstiften, gerade solche Kandidaten aufzustellen, die einen Wahlsieg am allerwenigsten nötig haben? Und wie könnten wir schließlich die real existierenden Wähler davon überzeugen, solche Kandidaten, die es im flachen Showgeschäft nicht zu Höchstleistungen bringen, auch zu wählen? Das wäre ja traumhaft: Jene Erbarmungswürdigen, die von Machtgelüsten besessen sind, finden in Gesellschaft und Kirche keinen Weg mehr in die verantwortlichen Regierungsgeschäfte. Sie finden keine willigen Gefolgschaften mehr, die auf ihre lockenden Versprechungen und ihre windige Machtattitüde hereinfallen. Das ausgeklügelte System, mit dem sie ihre Karriereleiter organisieren, wird durchschaut. Qualitäten sind gefragt, die man mit Wahlkampfspenden, imponierenden Lobby-Apparaten und strategischem Machtgespür nicht kaufen kann. Billige Feindbilder, die den Wählern und Untertanen zu allen Zeiten ein erhebendes Gefühl verschaffen, ziehen auf einmal nicht mehr. Gefragt sind nicht mehr Männer und Frauen, die sich gut verkaufen, sondern aufrechte, menschliche Menschen. Nicht mehr die hohle, eitle Phrase wird beklatscht, sondern das starke Rückgrat, das, wo es sein muss, ohne Zögern aus der Reihe tanzt. - Dürfen wir diesen Traum, der doch mit realer Politik nichts zu tun hat, einfach als Utopie belächeln? Es ist heute gefährlicher denn je, dass stets fast nur die Schwerhörigsten, jene, die nur sich selbst reden hören, ganz oben stehen. Lange können wir es den Geschädigten, den Eitlen, den Rücksichtslosen und den aufgebauten Marionetten mächtiger Konzerninteressen jedenfalls nicht mehr gewähren, dass vor allem sie die Geschicke des Planeten und all seiner Lebewesen in ihre Hände nehmen.

Die "Macht" gehört zu jenen Götzen, die den Menschen mit einem lügnerischen Versprechen von Unverwundbarkeit und totaler Sicherheit ködern. Sie bietet wie alle Götzen als Besänftigung der menschlichen Angst äußere Stärke und Sicherheit an, ohne den Menschen innerlich gesunden zu lassen und zu kräftigen. Sich in den Dienst Gottes zu stellen, heißt keineswegs, sich der mächtigsten übergeordneten Instanz - neben diesen Götzen - zu unterwerfen. Dem wahren Gott zu begegnen, das heißt, aus einem innersten Zuspruch heraus zu leben, der die verlockenden Götzen der äußeren Stärke als billige Lüge entlarvt. Aus der Sklaverei der leeren Stärkeversprechungen des Götzendienstes befreit zu sein, das ist kein frommes Verkündigungswort, sondern leibhaftige, wirkliche Erlösung. Jeder Mensch, der sich nicht wie ein Gott aufspielen muss und der sich nicht mehr von Allmachtsphantasien beherrschen lässt, gibt Zeugnis ab von dieser Befreiung. Es ist also mit dem Weg der Taufe, der uns eintaucht in eine tiefe Geborgenheit, schlichtweg unvereinbar, sich selbst an die Macht zu verkaufen. Richtiger jedoch wäre zu sagen: Es ist nicht länger mehr notwendig, dies zu tun.

III.

Die Alternative der religiösen Erfahrungstradition heißt: Innerste, geschenkte Stärke oder äußeres, selbstfabriziertes Machtgebaren? Diese Erkenntnis des menschlichen Psychogramms am Scheidepunkt von Macht oder Lebensdienst zielt keineswegs bloß auf eine individuelle Heilsverkündigung. Ein alter Vespergesang der orthodoxen Liturgie legt sogar die Möglichkeit nahe, die konträren Wege der äußeren Machtsausübung und des innersten "Königtums" könnten parallel ihren - global bedeutsamen - Höhenpunkt zeigen: "Als der römische Kaiser Augustus allein auf Erden regierte, da kam die Vielzahl der einzelnen menschlichen Machthaber an ihr Ende. Und als Du wahrer Mensch wurdest, da war die Anbetung der vielen Götzen überwunden... Die Völker wurden durch Cäsars Dekret eingeschrieben, und wir, die Glaubenden, wurden durch die Menschwerdung mit deinem göttlichen Namen besiegelt..." (vgl. "Stikhira by Cassia the nun", in: Divine Harmony 1998). Diese Gegenüberstellung diente allerdings seit Eusebius von Caesarea (+ 339), dem Altmeister der politischen Hoftheologie, geradewegs auch zu Kaiserverherrlichung. Man folgte an dieser Stelle Aristoteles, der zugunsten seines Zöglings, des verbrecherischen Welteroberers Alexander, einem Satz Homers metaphysischen Wahrheitsgehalt zuerkannte: "Nicht gut ist die Vielherrschaft; Herrscher sei einer!" So konnten Theologen - was später gottlob als häretisch galt - den Anspruch des einen Weltenherrschers und die "Monarchie" des einen Gottes in Beziehung zueinander setzen. Im vierten Jahrhundert gab es dazu im Zusammenhang mit dem Dreifaltigkeitssymbol eine wichtige Klarstellung. Keiner darf das Verhältnis zwischen dem ursprungslosen göttlichen Vater und seinem Sohn als "Subordination", als Unterordnung bezeichnen. Ja, in den weltlich-patriarchalen Machtkategorien von Über- und Unterordnung lässt sich überhaupt nichts über die Dreifaltigkeit - über das zeitenlose Liebespiel des immer schon Liebenden und des immer schon Geliebten - aussagen. Liebender und Geliebter sind "gleichberechtigt". Liebe ist kein Machtverhältnis; sie kennt das Wort Konkurrenz nicht. (Entsprechend ist natürlich auch ein erlöstes Verhältnis zwischen Gott und Mensch nie in Machtkategorien auszusagen!) Zumindest an dieser Stelle müssen selbst die Agenten eines metaphysischen Dogmas der Botschaft Jesu folgen: Die Machtausübung der Weltherrscher und das Königtum Gottes sind einander strikt entgegengesetzt. Die Übernahme des griechischen Allmacht-Titels in das christliche Credo ist deshalb sehr bedauerlich! Luther hat in seinem Christus-Bekenntnis auf den Punkt gebracht, was mit den Alleinherrschaftsansprüchen aller royalistischen Systeme unvereinbar ist: "Er ist König, weil er uns alle zu Königen gemacht hat!"

Einen Herrscher, der als König neben dem einen Gott von Menschen Gefolgschaft verlangt, so etwas sollte es im Stämmebund Israels ursprünglich überhaupt nicht geben. Die einstigen Sklaven waren nicht deshalb aus Ägypten befreit worden, um im Gelobten Land erneut unter das Joch eines weltlichen Herrschers zu gelangen. (vgl. Richter 9,7-21; 1 Samuel 8,5-22) Das werden die Propheten des Ersten Testaments nie vergessen. In seinem Spottlied auf den König von Babel singt Jesaja: "Ach, du bist vom Himmel gefallen, du strahlende Sonne der Morgenröte... Du aber hattest in deinem Herzen gedacht: Ich ersteige den Himmel; dort oben stelle ich meinen Thron auf, über den Sternen Gottes." (Jes 14,12f.) Ezechiel stimmt über den König von Tyrus schon zu Lebzeiten eine Totenklage an, obwohl der doch mit soviel imponierenden Gaben und äußerem Reichtum allenthalben strahlt: "Doch du bist nur ein Mensch und kein Gott, obwohl du im Herzen geglaubt hast, dass du wie Gott bist." (Ez 28,2) So spricht man von Herrschern in jener Tradition, auf deren Hintergrund Jesus die "Mächtigen dieser Welt" entlarvt (Mk 10,42ff) und Maria Gott preist, der die Mächtigen vom Thron stürzt (Lk 1,52). In diesem Zusammenhang können wir die Geschichte von der Steuermünze aus dem 12. Kapitel des Markus-Evangeliums erinnern. Dazu Eugen Drewermann (2002,155): "Henrik Ibsen konnte einmal sagen, niemand habe den Kaiser so subtil und so sublim aus dem Weg geräumt wie der Mann aus Nazareth. Brutus habe nur einen einzigen Cäsar gemordet, aber dieser Satz töte sie alle: `Gebt Gott, was Gottes ist.` Nie mehr wird in der Perspektive von Jesu Botschaft ein Kaiser Gott sein und die Mandorla der Erhabenheit um sich tragen können, er ist nichts weiter als ein Mensch. Er mag die Münzen verwalten, auf die er sein Bild druckt, aber er hat in der Seele des Menschen keine Bilder zu hinterlassen, dafür ist Gott allein zuständig."

Im Johannes-Evangelium ist die Abgrenzung vom Weltsystem (Joh 18,36) und seiner Ordnung das maßgebliche theologisches Programm. Nur ein nachkonstantinisches Christentum konnte es fertig bringen, das rein "spirituell" zu deuten. Nirgends jedoch wird der Angriff auf die weltliche Macht so drastisch auf die Spitze getrieben wie im letzten Buch der christlichen Bibel, in der Apokalypse des Johannes. Die zeitgenössische Weltmacht erscheint den christlichen Gemeinden als Bestie Rom, als "Hure Babylon". Die Potenzen der Weltherrscher kulminieren im Antichristen schlechthin, dem alle Nationen gewaltsam unterworfen sind. Dieser Superregent beansprucht göttliche Attribute und spielt sich wie eine letzte Instanz auf. Das Verbot, ihn anzubeten, zielt eindeutig auf die römische Reichsideologie, in der sich der altorientalische Herrscherkult neu ausgestaltet (Offb 13). Der Kaiser ist gemeint. Christen dürfen sich in keiner Weise an der Verehrung des römischen Imperators beteiligen. Sie sind unter allen Bewohnern der Erde die einzigen, die nicht den politischen Weltherrscher, sondern Gott um das tägliche Brot bitten. (Off 13,8) Die verfolgten Gemeinden in Kleinasien stellen die drängende Frage, ob die Geschichte wirklich den Weltgroßmächten und dem Schicksal überlassen ist. Die mächtige Stadt Babylon (Rom) ist vom Blut der Heiligen schon betrunken (Offb 17,6), doch die Zeugen sehen "das neue Jerusalem von Gott her aus dem Himmel herabkommen" (21,2). In dieser "Wohnung Gottes unter den Menschen" (21,3) sind sie wesentlich beheimatet. Deshalb versagen sie dem "Reich des Tieres" die Gefolgschaft und werfen sich vor dem "Drachen" nicht nieder. (13,4; 16,10) Über das Imperium, das nicht nur mit wertvollen Stoffen und Thujaholz aus Nordafrika handelt, sondern auch mit "Sklaven und Menschenseelen", ist das Gericht längst gesprochen. (Offb 18,1-24) Der christliche Widerstand besteht in der Weigerung, die Absolutheitsansprüche des Weltimperiums auch nur im Ansatz anzuerkennen, nicht aber in gewaltsamer äußerer Auflehnung. Die heftigen anti-römischen Affekte steigern sich gleichwohl zu ganz und gar unchristlichen Rachephantasien, die Gottes Eingreifen herbeisehnen (Offb 6,10). Da finden wir Stellen, die an das tägliche Achtzehnbittengebet der Synagoge nach der Zerstörung Jerusalems erinnern: "... die freche Regierung (= Rom) mögest du eilends ausrotten in unseren Tagen." Der erste Petrusbrief ermahnt die Christen Kleinasiens, in ihrer Haltung gegenüber Kaiser und Statthaltern nicht Böses mit Bösem zu vergelten. Sie sollten sich um Gottes willen der menschlichen Ordnung fügen. - Nach der Apostelgeschichte benutzt der "erste Papst" den Mächtigen gegenüber aber eine ganz andere Sprache: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!" (Apg 5,29) - Keine Frage, auf das römische Imperium, das im zweiten Jahrhundert der christlichen Ära einen Großteil der Erde umfasst, ist man unter Juden und Christen nicht gut zu sprechen. Dabei bescheinigen doch selbst christliche Historiker der Neuzeit, der "sanfte Einfluss" der römischen Gesetze und Provinzverwaltung habe einstmals den "zivilisiertesten Teil der Menschheit" vereinigt.

IV.

Doch in diesem "zivilisierten Reich" war der Brandstifter Nero (54-68) mit seiner populistisch erfolgreichen Attacke auf die christliche Minderheit keineswegs der Schlimmste. Kaiser Domitian (81-96), dessen Kolossalstatue ein riesiger Tempel in Ephesus beherbergte, verlangt unter grausamen Androhungen, in allen Provinzen als "unser Herr und Gott" kultisch verehrt zu werden. Trajan (98-117) will, dass alle Christen ihre staatliche Loyalität durch Verehrung der Götter und des göttlichen Kaisers unter Beweis stellen. Sich dem Staatskult und der Staatsgesinnung zu verweigern, ist schlimmstes Staatsverbrechen. Christenblut fließt in Strömen unter Decius (249-251) und Valerian (253-260), die unter strengen Kontrollen allen Bürgern die Teilnahme am Kult der Reichsreligion zur Zwangsauflage machen. In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts ist besonders die "unbesiegte Sonne" ein beliebter Topos im Kaiserkult. Bevor Galerius 311 Religionsfreiheit gewährt, fällt die letzte grausame Verfolgungswelle in die Regierungszeit Diokletians (284-305). Gegen die Herrschersitze all dieser Kaiser hatten die frühen Christen ein unübertreffbares Widerstandsbild. Sie verstanden die Kirche als "mittanzende Braut" des Lammes auf dem Thron. (Offb 19,9) - Nie hätten sie sich träumen lassen, die Kirche könne einmal eine Weihrauchabteilung am kaiserlichen Hof werden. - Es war für sie unvorstellbar, dem Kultbild des römischen Kaisers, das in jedem Gerichtssaal stand, auch nur ein Weihrauchkörnchen zu opfern. Für die strengen Gemeinden und für Bischöfe wie Cyprian von Kathargo war es sogar schlichtweg inakzeptabel, eine äußere Anerkennung der "göttlichen" Ansprüche des römischen Imperiums auch nur vorzuheucheln oder sich über einflussreiche Mittelsleute einen entsprechenden Persilschein (Opferbescheinigung) zu besorgen.

Nicht nur die weltabgewandten, politisch vielleicht oft indifferenten Gnostiker, sondern auch die "großkirchlichen" Christen zeigten ihre innere Distanz zu den bestehenden Herrschaftsverhältnissen jedoch nicht durch gewalttätige Auflehnung. Christen lebten anders als die Umgebung. Jeder Taufbewerber bekam zu hören, dass er fortan nicht mehr alles und jedes in der Gesellschaft mitmachen werde. Dabei war die praktizierte Solidarität mit den Armen und Verelendeten ein hervorstechendes Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem auf rücksichtslose Besitzgier aufgebauten Weltreich. Doch ein totales System wie das römische Imperium kann offene Feindschaft und innere Unabhängigkeit gleichermaßen nicht dulden. Gleichgültigkeit, damit hätte man sich nicht den grausamen Zorn der Statthalter zugezogen. Waren die äußeren Verhältnisse gleichgültig für die Christen? Paulus hielt sie doch dazu an, die gottgewollte Funktion der staatlichen Obrigkeit anzuerkennen und Steuern zu bezahlen. Warben nicht die Apologeten des 2. Jahrhunderts bei den Mächtigen für die neue, so vernünftige Religion, die dem öffentlichen Wohl sehr förderlich sei. Beteten die Christen denn nicht für das Wohlergehen von Kaiser und Reich und waren gehalten, den Kaiser - wenn auch als Menschen - zu ehren? Nur Radikale wie die Montanisten, so will man später wissen, verweigerten jegliche Anpassung. In der Friedensperiode zwischen 260 und 303 zählten längst hohe römische Beamte zum christlichen Bekenntnis. Das Blut also gaben die Christen allein deshalb, weil sie nicht - wie gefordert - Christus verfluchen durften? Gefoltert wurden sie allein deshalb, weil sie dem Kaiser nur die Steuer, nicht aber das Gebet geben wollten? Wir kennen nur diese Variante der Kirchengeschichte. Unter Theodosius dem Großen, der 392 endgültig die christliche Staatskirche installiert, alle anderen Kulte verbietet und innerchristliche "Häresie" zum Staatsverbrechen erklärt, war sie längst etabliert. Die Hoftheologen, die bis zur Stunde den jeweiligen Cäsaren zum Garanten eines "Gottesreiches" krönen, sorgen dafür, dass keiner dieses Kapitel der Kirchengeschichte umschreibt. Und doch ist diese Version vollständig unglaubwürdig! Die Praxis der frühen Christen, die im "Global Play" Roms nicht ohne weiteres mitspielten, war bereits Ärgernis. Machtanspruch und seine Feier im Machtkult sind überdies schwerlich zu trennen. Die Teilnahme der Christen am vorgeschriebenen Staatskult wäre ein Beleg ihrer loyalen Staatsgesinnung gewesen. Doch was die Christen bewegte, das stand der praktizierten imperialen Religion des Reiches diametral entgegen. Sie lasen ihr Evangelium noch nicht aus goldverzierten Lektionaren. Ihre kultische Illoyalität ist Ausdruck einer tief wurzelnden, subversiven politischen Illoyalität. Deshalb vermerkt Bischof Cyprian (), die Nachricht über einen Nebenbuhler im Regierungsgeschäft sei für den Kaiser Decius weniger schlimm gewesen als die Nachricht über die Wahl eines Bischofs in Rom. Dass der christliche Dissens zum Römischen Imperium nicht allein in der kultischen Adresse von Weihrauchschwaden liegt, dafür ist der Kirchenvater Augustinus ein ganz unverdächtiger Zeuge. In seinem "Gottesstaat" schreibt er um 410, wie Eugen Drewermann sinngemäß zitiert: "Die Staaten dieser Welt sind große Räuberhorden, deren Verbrechen nur ein Ausmaß erreichen, dass man sie nicht bestrafen kann." Mord und Erpressung, so meinte dieser doch so romfreundliche, nachkonstantinische Kirchenvater, gehören zum Alltag der großen Weltreiche, die sich vor keiner Instanz verantwortlich fühlen und die in ihrer Gerichtsbarkeit ob der eigenen Schandtaten wenig glaubwürdig sind.

V.

Der durchschnittliche Religionsunterricht vermittelt indessen noch heute das Bild, die frühchristlichen Märtyrer hätten sich lediglich dem kultischen Götzendienst verweigert - ansonsten jedoch den römischen Weltimperator wie alle Untertanen anerkannt. (So hatten es auch die Christen meiner Heimat aus ihrem Katechismus gelernt. Sie konnten angesichts einer Entwürdigung des allerheiligsten Altarsakramentes durch die Nazis wie selbstverständlich Kopf und Kragen riskieren, während sie bezogen auf die öffentliche Folterung jüdischer Dorfgenossen von keinem Widerstands-Artikel wussten.) Unbedarfte zeitgenössische Theologen wagen noch immer zu schreiben, die "Bestie Rom" habe sich einst ja selbstzerfleischend in den Untergang manövriert, und das Christentum sei als Triumphator aus dem Lauf der Geschichte hervorgegangen. Welch "glückliche" Autoren, die 2000 Jahre politische Geschichte und die weltweiten Kollaborationen aller Reichskirchen - mit den grausamsten Regimes - bis hin zur Gegenwart so rosig zu deuten vermögen. Mit realer Weltgeschichte hat solch blühende Phantasie nichts zu tun. Alle Bekenntnisschriften und Katechismuslehren, die den Christen gegenüber der Staatsmacht einen vorgängigen Gehorsam zur Gewissenspflicht machen, haben ihre Unschuld im Jahrhundert von Auschwitz so endgültig wie nur eben möglich verloren.

Jesu Blick auf die Mächtigen der Welt verliert für uns natürlich keine Bedeutsamkeit, nachdem nunmehr die Mächtigsten formal demokratisch auf ihren Regierungsstuhl gelangen. Auch ändert sich nichts durch das neue, nette Gesicht der Macht, die sich nunmehr durch sympathische Entertainer, smarte Kaufleute und unternehmerische Macher, die alles auf den einfachen Nenner von Ökonomie und Geldvermehrung bringen, nicht allzu tiefsinnig präsentiert. Derzeit hat die - nach eigenem Bekunden "einzig verbliebene" Weltsupermacht USA eine Machtfülle erreicht, die geschichtlich ohne Vergleich dasteht. Die sakrale Ausgestaltung des Weltmachtsanspruchs geschieht in diesem Modell ohne eine geschlossene "Reichskirche", gleichwohl aber im Bewusstsein, "die christliche Nation" zu sein. Für die Anführerschaft einer "Achse des Guten" werden neuerdings absolute, ja biblische Attribute in der politischen Rhetorik geltend gemacht. Die blutige Schattenseite des menschenfreundlichen Sendungsbewusstseins ist nicht erst heute erschreckend. Ein Blick auf die Herkunft der aktuellen Regierungsriege in den USA offenbart, wie perfekt die Gleichung "Geld ist Macht" zur Höchstform angelaufen ist. In den meisten europäischen Ländern geben Politiker noch eher verschämt durch ihre Hilflosigkeit zu verstehen, dass sie wirtschaftliche Sachzwänge zu bedienen haben, dass ihre wirklichen Handlungenspielräume immer kleiner werden und dass sie gegenüber den Machtzentren des Geldes eindeutig den Kürzeren ziehen. In Italien oder den Vereinigten Staaten von Nordamerika sieht hingegen jeder, dass das Geld längst auf der Regierungsbank seine Gesichter zeigt. Dort sitzen bald nicht mehr Menschen, sondern Dollarscheine und Euros. Zu Recht brechen christliche Theologinnen und Theologen ein Tabu, wenn sie an dieser Stelle aktuell die Kategorien "Babylon" und "Rom" zu Sprache bringen.

Sich heute als Christ dem Götzenkult der Macht zu verweigern, das betrifft das persönliche Lebenskonzept und die politische Ausgestaltung von Macht gleichermaßen. Im Lobgesang der Maria stürzt Gott nicht nur die Herrschaft der hochmütigen und tyrannischen Instanzen unseres kranken Ich-Konzeptes, also auch jene Reiche, in denen wir ein "Ich" durch die Anbetung von Geld, Macht und Gewalt künstlich erzeugen. Jesu innerste Geburt und die Geburt des Ja-Wortes in jedem Menschen stürzen jeden weltlichen Absolutheitsanspruch der Mächtigen vom Thron, sei es in der Familie, am Arbeitsplatz oder im Raum der politischen Ordnung. In den Herzen der Glaubenden sind die Mächtigen schon jetzt ein für alle mal von ihrem Thron gestürzt. Die frühchristliche Subversion der Kultverweigerung könnte zunächst ganz schlicht bedeuten: Wir entlarven respektlos die lächerlichen Führungsposen, die unterschwelligen Drohungen, die höflichen Erpressungen, die eitlen Attitüden, die offenkundigen Lügen und die durchschaubare Propaganda. Wir zeigen: All das hat keine Macht über uns. Im politischen Raum geht es an dieser Stelle nicht um eine Neuauflage von weltlichen "Reich Gottes-Phantasien" oder christlichen Revolutionseifer, sondern um kritisch-realistische Entzauberung von Machtansprüchen. Und das ist möglich, auf jeden Fall - nicht nur im Narrenhaus des Kabaretts.

Die christliche Utopie einer herrschaftsfreien Ordnung der Menschenwelt hat in den verfassten Kirchen der Christenheit leider nur sehr bescheidene Spuren hinterlassen. Der Vergleich zum dialogischen Ausgleich, zum Entscheidungsprozess und zu den Formen der Machtkontrolle in mehr oder weniger überzeugenden demokratischen Modellen fällt noch immer ernüchternd aus. Die eigene Umkehr der Kirchen tut Not. Sie werden sonst dem nicht widerstehen können, was unbedingt Widerstand herausfordert. Dazu zählen die Etablierung neuer, undemokratischer "Führerideale", die schleichende Aushöhlung des demokratischen Gesellschaftskonzepts (durch eine Instrumentalisierung des Staates für die Interessen des totalen Marktes), die Infragestellung ehedem "unveräußerlicher Menschenrechte", die monopolisierte Manipulation der Meinungsbildung, die profit- und machtgesteuerte Gleichschaltung jeglicher Kultur und das Unterlaufen aller bereits gewachsenen Strukturen, die eine gerechtere und friedlichere internationale Ordnung der Staatenwelt ermöglichen sollen.

(vgl. auch den Redebeitrag "Götzenkult der Flaggen")

Seite zuletzt geändert: 2002-11-06 wk.
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